Darf ich Hunde allein halten? Oder brauchen sie ein „Hunderudel“ um sich wohl zu fühlen?

In ihrem Buch „Hunde“ (animal learn Verlag, 2001) schreiben die Biologen Ray und Lorna Coppinger, die frei lebende Dorfhunde auf der afrikanischen Insel Pempa beobachtet haben, folgende Zeilen:
„Die meisten Hunde auf Pemba leben allein oder in sehr kleinen Gruppen mit maximal drei Tieren. Wenn man drei Hunde miteinander sieht, haben sie oft dieselbe Farbe. Das ist vermutlich ein Hinweis darauf, dass es sich um ein Muttertier mit Nachkommen oder sonst genetisch verwandte Exemplare handelt.“
Straßenhunde haben allein bessere Aussichten,
Nahrung abzustauben
Und etwas weiter schreiben die Autoren im demselben Buch: „Im Gegensatz zu den weit verbreiteten Vorstellungen zeigen Hunde überall auf der Welt kein (oder nur sehr selten) „Rudel“verhalten“.
Große Hundegruppen ungewöhnlich


Hunde zeigen kein (oder nur selten) Rudelverhalten? Ja, ich kann den Aussagen der Coppingers in dem Punkt absolut zustimmen. Auch ich habe mir selbstbestimmt lebende Straßenhunde angeschaut. Und vor allem in der so genannten „dritten Welt“, wo Hunde wirklich komplett selbstbestimmt, aber trotzdem bei und unter dem Menschen leben, findet man nur sehr selten Hunderudel, wie wir uns das immer wieder vorstellen. So habe ich in Indien und Tansania feststellen können, dass die dortigen Straßenhunde fast immer allein leben. Zwar treffen sich Hunde an „Futterstellen“ (Müllplätze etc.) und streiten sich dann auch mal um Nahrung. Das sind aber keine Rangkämpfe, sondern Einzelauseinandersetzungen um eben ein besonders gutes Futter. Hunde, die dort aufeinandertreffen, gehen hinterher ihrer Wege und leben und schlafen an ihren eigenen, von anderen Hunden getrennten Plätzen. Wenn man mal wirklich Hunde gemeinsam sieht, ist das also meist an Futterplätzen. Aber diese Hunde als Rudel zu bezeichnen wäre so, als wenn man die Menschen, die zufällig gerade in einem Restaurant sind, als Bande bezeichnen würde. Und ein kurzes Gedränge am Buffet als Rangkampf ;-)  

Hunde untereinander eher Konkurrenten

Hunde sind Meister der Anpassung. Darum gibt es auch durchaus Gruppenbildungen, vor allem, wenn es  um feste Fütterungsplätze geht. Wie es Günther Bloch in „Pizzahunde“ (Kosmos, 2007) durch Beobachtungen an verwilderten Haushunden in Italien beschreibt. Die Hunde wurden dort an festen Futterplätzen regelmäßig gefüttert. Im Umfeld der Futterplätze bildeten sich Gruppen heraus.

Wenn allerdings nicht gefüttert wird und das Individuum komplett selbst für seine Versorgung zuständig ist, sind die größten Feinde die Artgenossen. Artgenossen haben die gleichen Bedürfnisse wie man selbst, also benötigen sie die gleichen Ressourcen. Sind diese nur begrenzt vorhanden ist der andere Hund der Konkurrent, der Feind. Straßenhunde kommen daher allein besser zurecht, kleine Nahrungsquellen reichen für ein oder wenige Individuen. Große Rudel mit Nahrung zu versorgen ist viel schwieriger, deswegen leben komplett selbstbestimmte Hunde meist allein. Rudel, wie wir uns das immer vorstellen, habe ich weder in Afrika noch Asien – und auch nicht in Südeuropa, häufig sehen können. Wie gesagt, mehrere Hunde trifft man da an, wo es Nahrung gibt, und dort wird sich teilweise um die Nahrung mit Fremden gestritten, ohne dass die Hunde zueinander gehören. Und ähnlich wie die Coppingers konnte ich manchmal kleinste Gruppe mit zwei oder drei Tieren sehen, die sich sehr ähnlich waren. Vermutlich Geschwister. Richtige Rudel nach menschlicher Vorstellung sind für frei bestimmende Hunde eher ungewöhnlich. Was auch die Absurdität diverser Modeerscheinungen deutlich macht. Wie können Hunde, die eigentlich von Natur aus mehrheitlich nicht mit Artgenossen  in einem sozialen Verband zusammenleben, angeborene „Rudelstellungen“ haben?

Zeitlich begrenzte Familiengruppen ohne Vater

Hündinnen sind meist auf sich selbst gestellt
Hunde sind für Hunde also eher Konkurrenten um Nahrung. Ab und zu braucht man Artgenossen zwar zur Arterhaltung und hat zu verwandten Tieren auch manchmal zeitlich begrenzt ein enges, soziales Verhältnis. Bei der Arterhaltung sind Hunde übrigens, anders als der Wolf, weniger monogam. Während ein Wolfsrüde und eine Wölfin meist eine langjährige Zweiergemeinschaft bilden und sich dazu immer wieder für einen gewissen Zeitraum Welpen „gesellen“, ziehen sich selbst überlassene Hündinnen den Nachwuchs meist allein groß.
Insgesamt kann man sagen, dass Hunde, wenn Menschen sich nicht einmischen, zwar in der Nachbarschaft von anderen Hunden leben, aber das Leben weitgehend solitär gestalten. Die menschliche Vorstellung von durchorganisierten Hunderudeln kann man bei nüchterner Betrachtung nicht pauschal (!) bestätigen.
Menschen sind keine Konkurrenten
Hunde sehen andere Hunde zwar im Grunde als Konkurrenten, sobald sie sich aber gegenseitig genügend Distanz eingestehen und es zu keinen direkten Begegnungen um wichtige Ressourcen geht, sind Hunde durchaus in der Lage andere Hunde im weiteren Umfeld zu dulden. Menschen dagegen werden sogar gezielt aufgesucht und nicht als Konkurrenten betrachtet. Das kann man damit begründen, dass Hunde im Laufe der gemeinsamen Geschichte mit Menschen gelernt haben, dass diese eher für Nahrung sorgen (Reste, Müll), als diese dem Hund streitig zu machen. Hunde und Menschen haben daher naturbedingt ein völlig anderes Verhältnis zueinander, als es Hunde untereinander haben. 
Menschen und Hund können keine Rudel bilden
Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, wenn man immer wieder davon hört, dass man der Rudelführer sein soll etc. Mal davon abgesehen, dass Hunde insgesamt viel solitärer veranlagt sind, als man denkt. Das Verhältnis von Menschen und Hunden ist durch viele tausend Jahre gegenseitiger Anpassung ein ganz spezielles geworden. Aber dass die zwei unterschiedlichen Arten ein Rudel bilden, ist doch wieder einmal ein abenteuerlicher Gedanke.
Kann man Hunde also allein halten?
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Kann man Hunde heute überhaupt noch einzeln halten. Natürlich kann man das! Zwar bin ich selbst ein Freund der Mehrhundehaltung. Man muss dann aber genau wissen, wie man das angeht – die Hunde müssen genügend Freiraum haben, dürfen nicht 24 Stunden auf engstem Raum zusammenhocken und man muss individuelle Eigenschaften einschätzen können und daraus resultierende Bedürfnisse individuelle befriedigen können. Es ist aber keinesfalls so, dass Hunde sich nur glücklich fühlen können, wenn mehrere Hunde in einem Haushalt leben. Man denke daran, wie selbstbestimmte Straßenhunde leben…
Freund der Mehrhundehaltung – Gegner von Rudelstellungen
Also, wenn man es gut und mit Verstand macht, ist Mehrhundehaltung in Ordnung (es ist auch das nächste Thema In „Riepes Hundetalk“) Aber niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn er einen Hund solitär hält. Wenn man ihm ein oder zwei Hundekumpels gönnt, die er regelmäßig sieht und mit denen er einen stabilen sozialen Kontakt pflegen kann, ist das vollkommen in Ordnung. Und wenn man ihm beibringt, dass man anderen Hunden begegnen kann und das nicht schlimm ist (Hundebegegnungen also positiv gestaltet), dann ist alles in Ordnung.  

Abschließend noch einmal betont: Ich bin eigentlich ein Freund der Mehrhundehaltung, was durch die soziale Anpassungsfähigkeit (und Berücksichtigung individueller Eigenschaften) von Hunden auch machbar ist. Es ist aber überhaupt kein Problem, einen Hund allein zu halten. Niemand sollte sich verrückt machen lassen von irgendwelchen Rudelstellungstheorien, die leider heute viele Menschen dazu veranlassen, mehrere Hunde zu halten, auch wenn diese dann damit überfordert sind. Und das nur aufgrund einer Theorie, die nicht einmal im Ansatz nachgewiesen werden kann. Ganz im Gegenteil sogar – jeder Straßenhund dieser Welt lebt komplett anders, als es dort suggeriert wird.
Lassen Sie sich einfach nicht verrückt machen.

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