Von Freiheiten und Begrenzungen unter Hundeartigen…

Seit vielen Jahren widme ich der Tierfamilie der Hundeartigen meine besondere Aufmerksamkeit. Um die Mitglieder dieser Familie besser verstehen zu können besuche ich und beobachte ich sie gern und regelmäßig in ihrem natürlichen Lebensraum. Zur Familie der Hundeartigen gehören natürlich nach auch unsere Haushunde, die die domestizierte Form der Wildhundart Wolf sind. Und natürlich habe ich auch Wölfe und Haushunde in verschiedensten Lebensräumen beobachtet und studiert. Diese Beobachtungen haben mir persönlich weit mehr Erkenntnisse geliefert, als alle Theorien und „Weisheiten“, mit denen Hundehalter in allen Variationen konfrontiert werden. Ich möchte an dieser Stelle einmal ein spezielles Thema aufzeigen, dessen Deutung ich hier nicht vorgeben möchte, sondern dem Leser die Möglichkeit einräume, sich daraus ein eigenes Bild zu formen und im besten Fall einmal darüber nachzudenken, ob die bisherige Behandlung des eigenen Hundes bzw. ob das Verständnis des Hundes dem wirklichen Wesen dieser Tierart entspricht. Mit dem Thema, welche Freiheiten und welche Begrenzungen dem natürlichen Verhalten eines Hundes entsprechen.
Schauen wir uns dazu als erstes den Stammvater der Hunde, den Wolf an. Und schon hier werden wir feststellen, dass das allgemein verbreitete Bild vom Verhalten der Wölfe sich nicht mit meinen Erfahrungen deckt, aber auch nicht mit den Erfahrungen anderer Wolfsbeobachter, die Wölfe in ihrem natürlichen Lebensraum und in Freiheit beobachten konnten. Ich möchte hier nicht im Einzelnen und im Detail auf das komplette Sozialleben der Wölfe eingehen, weil dies für einen Artikel schlicht zu umfangreich wäre. Am Ende werde ich Ihnen aber Literaturhinweise geben, wo sie genaue Daten über den Wolf erfahren können - die auch den aktuellen Wissensstand wiederspiegeln.
Wölfe und Freiheiten
Kommen wir also an dieser Stelle zu einem Teilbereich des wölfischen Soziallebens. Zu den Grenzen und Beschränkungen, denen sich ein Wolf unterordnet, bzw. die ihm aufgelegt werden. Ein Wolf wird zurechtgewiesen, bzw. hat mit Zurechtweisung zu rechnen, wenn er einem anderen Mitglied der jeweiligen Familie eine Ressource (auch die Ressource Sexualpartner) streitig macht, bzw. wegnehmen möchte. Konkret heißt das, dass ein Individuum, welches sich z.B. ein Stück Nahrung gesichert hat, dieses gegen andere verteidigt und es nicht zulässt, dass ihm diese Nahrung weggenommen wird. In aller Regel wird die Ressource, hier die Nahrung, auch gegen Tiere verteidigt, die im Rang höher stehen. Auch wird ein guter Liegeplatz verteidigt und andere, die diesen Platz besetzen wollen, werden in ihrem Vorhaben begrenzt. Weiter werden Grenzen gesetzt in der sozialen Interaktion. Das heißt, wenn ein Tier im sozialen Kontext zu aufdringlich, bzw. zu robust agiert und es dem anderen unangenehm wird, wird die Handlung im Allgemeinen abgebrochen – meist durch ritualisierte körpersprachliche Mittel und max. Androhungen von Gewalt bis zu Remplern – in den seltensten Fällen allerdings mit ernsthaften Gewaltmitteln, falls die unangenehme Handlung nicht unterbrochen wird. Erwachsenen Wölfen werden also nur Grenzen gesetzt, wenn es um die Verteidigung von Nahrung oder anderen Ressourcen geht. Grundsätzlich niemals wird einem Wolf von irgendeinem anderen Mitglied der Familie, des Rudels, irgendetwas „verboten“, bzw. wird ein Rudelmitglied niemals zum Abbruch folgender Handlungen gezwungen: Entfernen von der Gruppe, selbstständig zu jagen, eigene Revierstreifzüge vorzunehmen oder Feinde in die Flucht zu schlagen. Grenzen werden also nur im direkten sozialen Kontext zwischen Individuen gesetzt – in allen anderen Tätigkeiten ist ein Wolf vollkommen frei. Er kann kommen und gehen wann er möchte, jagen so viel und so oft er möchte, sich hinlegen wo er möchte – solange der ausgesuchte Platz von keinem anderen Gruppenmitglied zur gleichen Zeit beansprucht wird. Nur Welpen werden von Eltern bzw. Babysittern daran gehindert, sich von der Gruppe zu entfernen – aus Sicherheitsgründen. Also, obwohl wir Menschen immer annehmen, dass Wölfe in einem absolut streng geregelten, hierarchischen System leben, können sie sehr frei entscheiden, was sie tun oder nicht – solange sie soziale Regeln im direkten Bezug zu den anderen Mitgliedern des sozialen Verbands einhalten.
Wölfe in den USA (c) Thomas Riepe
Gut, ich spüre förmlich, wie viele Leser jetzt reflexartig denken, dass Hunde ja keine Wölfe mehr sind. Das ist natürlich richtig – aber auch falsch. Vereinfacht könnte man sagen, dass Haushunde Wölfe sind, die an den Lebensraum Mensch angepasst sind. Wie das im Einzelnen aussieht, kann man ebenfalls den Literaturhinweisen am Ende entnehmen.
Aber verlassen wir das Sozialleben der Wölfe und nähern uns den Haushunden an. Denn auch diese wurden „Opfer“ meiner Beobachtungen. Und da im Speziellen Haushunde, die noch in sehr ursprünglichem Verhältnis zu „ihren“ Menschen stehen. Wie z. B. Dorfhunde in Afrika.
Dorfhunde in Tansania
Also, nun zu den Grenzen und Beschränkungen denen sich ein afrikanischer Dorfhund unterordnet, bzw. die im auferlegt werden. Er wird zurechtgewiesen, bzw. hat mit Zurechtweisung zu rechnen, wenn er einem anderen Mitglied der jeweiligen Familie eine Ressource streitig macht, bzw. wegnehmen möchte. Konkret heißt das, dass ein Individuum, welches sich z.B. ein Stück Nahrung gesichert hat, dieses gegen andere verteidigt und es nicht zulässt, dass ihm diese Nahrung weggenommen wird. In aller Regel wird die Ressource, hier die Nahrung, auch gegen Tiere verteidigt, die im Rang höher stehen, aber auch gegen Menschen. Auch wird ein guter Liegeplatz verteidigt und andere, die diesen Platz besetzen wollen, werden in ihrem Vorhaben begrenzt. Weiter werden Grenzen gesetzt in der sozialen Interaktion. Das heißt, wenn ein Tier im sozialen Kontext zu aufdringlich, bzw. zu robust agiert und es dem Anderen unangenehm wird, wird die Handlung im Allgemeinen abgebrochen – meist durch ritualisierte körpersprachliche Mittel und max. Androhungen von Gewalt bis zu Remplern – in den seltensten Fällen allerdings mit ernsthaften Gewaltmitteln. Falls die unangenehme Handlung nicht unterbrochen wird. Erwachsenen Dorfhunden werden also nur Grenzen gesetzt, wenn es um die Verteidigung von Nahrung oder anderen Ressourcen geht. Grundsätzlich niemals wird einem Dorfhund von irgendeinem anderen Mitglied der Familie, der sozialen Gruppe, irgendetwas „verboten“, bzw. wird ein Gruppenmitglied niemals zum Abbruch folgender Handlungen gezwungen: Entfernen von der Gruppe, selbstständig zu jagen oder Nahrung zu sammeln, eigene Revierstreifzüge vorzunehmen oder Feinde in die Flucht zu schlagen. Grenzen werden also nur im direkten sozialen Kontext zwischen Individuen gesetzt – in allen anderen Tätigkeiten ist ein Dorfhund vollkommen frei. Er kann kommen und gehen wann er möchte, Ratten und Mäuse jagen so viel und so oft er möchte (aber natürlich keine Hühner oder andere Nutztiere, tun Dorfhunde aber von sich aus auch selten, weil diese zum sozialen Umfeld gehören), sich hinlegen wo er möchte – solange kein anderer im gleichen Moment den Platz beansprucht. Nur Welpen werden von Alttieren bzw. Babysittern daran gehindert, sich von der Gruppe zu entfernen – aus Sicherheitsgründen.
Das vorher beschriebene soziale Modell wird übrigens von allen Mitgliedern der sozialen Gruppe gleichermaßen akzeptiert und angewendet. Menschen und Hunden. Erziehung oder ähnliches kennen die Afrikaner, bei denen ich Hunde beobachten durfte nicht. Soziale Interaktionen mit Grenzen und Regeln – das war es. Mit sehr viel Freiheiten…
Also, obwohl wir Menschen immer annehmen, dass Hunde in einem absolut streng geregelten hierarchischen System leben, können Dorfhunde sehr frei entscheiden, was sie tun oder nicht – solange sie soziale Regeln im direkten Bezug zu den anderen Mitgliedern des sozialen Verbands einhalten.
Klingt wie eine Wiederholung des Wolfsabschnitts? Ist es auch, beschreibt aber auch das Sozialleben afrikanischer Dorfhunde…
Dorfhund in Tansania (c) Thomas Riepe
Wenn ich jetzt noch weitere Beispiele der von mir persönlich beobachteten Hundeartigen, ob „wild“ oder domestiziert anführen würde, wäre die Gefahr von Wiederholungen erneut sehr groß. Denn auch bei domestizierten Ranchhunden, bei Dingos, Kojoten – aber auch Füchsen, ist das Verhältnis von Begrenzungen und Freiheiten ähnlich. Eigentlich sind die Begrenzungen überall sehr gering und nur im direkten sozialen Kontext, meist bezogen auf Ressourcen, zu sehen. Außerhalb des sozialen Rahmens gibt es praktisch keine Grenzen und Beschränkungen der einzelnen Individuen. Ich halte es auch für wichtig hier zu erwähnen, dass dieses Verhältnis von Begrenzungen und Freiheiten auch bei „modernen“ Hunderassen zu finden waren (und natürlich auch sind), also nicht nur bei ursprünglichen Dorfhunden in Afrika, sondern auch bei Ranch- und Bauernhunden in Amerika und Australien. Diese Hunde gehörten verschiedensten Rassen an. Bordercollies, Labradore, Münsterländer, Terrier aller Art und weitere eigentlich spezialisierte Hunderassen der heutigen Zeit. Interessant ist die Beobachtung, dass deren Verhalten im sozialen Bereich letztlich dem von Wölfen und ursprünglichen Hunden sehr ähnelt, solange der Mensch ihnen nicht von morgens bis abends vorschreibt, was sie nicht tun dürfen. Begrenzungen und Freiheiten der Ranch- und Bauernhunde entsprechen also im Wesentlichen den vorher beschriebenen Wölfen und auch Dorfhunden. Ebenfalls als interessant kann man die Feststellung interpretieren, dass von relativ frei lebenden Hunden so gut wie keine Aggressionen gegenüber Menschen zu verzeichnen sind – außer natürlich im Fall von Tollwut. Unerzogene, gesunde Dorfhunde aus Afrika beißen, laut Aussage der einheimischen Bevölkerung sehr selten – auf jeden Fall seltener als Hunde aus Deutschland, die eine umfangreiche Erziehung hinter sich haben. Ist daran vielleicht die Erziehung an sich schuld? Oder die Methoden der Erziehung? Vielleicht sogar, wenn die Erziehung und die Methoden auf einem ganz anderen Bild, einer ganz anderen Ansicht des natürlichen Hundeverhaltens beruhen, als dem Bild, welches der Realität entspricht? Wenn man zum Beispiel die Hundeerziehung nur auf Begrenzung und Verboten aufbaut?
Nur eine Anregung zum Nachdenken
Dieser Artikel soll nicht als der Weisheit letzter Schluss gelten und alle Fragen der Problematik der „modernen“ Hundeerziehung ansprechen oder gar lösen. Ganz im Gegenteil. Mir ist natürlich vollkommen klar, dass wir in der heutigen Gesellschaft nicht ohne Grenzen und Verbote auskommen. Aber ich möchte hier aufzeigen, dass Hunde keine Lebewesen sind, die von Natur aus nur begrenzt werden und denen man keine Freiheiten zugestehen darf – weil sie dann nach Ansicht einiger „Hundeexperten“ gefährlich würden, die „Chefrolle“ anstreben würden oder ähnlichen Unfug. Diese Zeilen sollen Sie nur zum Nachdenken anregen, vielleicht einmal zu überdenken, ob Sie Ihren Hund, seine Veranlagungen und Bedürfnisse immer verstehen. Oder ob die Hundetrainer, die immer nur von Grenzen und Beschränkungen reden, wirklich recht haben. Machen Sie sich Gedanken und bilden Sie sich ihre eigene Meinung.
Hier konnte ich nur auf einen kleinen Teil des natürlichen Soziallebens der Hunde eingehen, werde das aber in folgenden Artikeln vertiefen. Dann möchte ich Ihnen auch näher bringen, wie man natürliche Freiheiten etc. im Hundealltag „simulieren“ kann – allerdings mit den Grenzen, die unsere Umwelt verlangt…


Literaturtipps zu Grundlagen des Sozialverhaltens:

-       Veröffentlichungen von David Mech  http://www.npwrc.usgs.gov/staff/mech.htm

-       Auge in Auge mit dem Wolf: 20 Jahre unterwegs mit frei lebenden Wölfen von Günther Bloch und Peter A. Dettling von Franckh-Kosmos Verlag


-       Hundeartige: Das Nachschlagewerk der Wild- und Haushunde von Thomas Riepe von Animal Learn Verlag 

Dieser Artikel „Von Freiheiten und Begrenzungen unter Hundeartigen…“ ist Bestanteil des Projekts „Zurück zum Hund“ von T. Riepe

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